Quelle: Beschluss vom 02.12.2024 – 6 W 142/24
Leitsätze / Kernaussagen
- Für den Beginn der Ausschlagungsfrist (§ 1944 Abs. 2 BGB) ist nicht erforderlich, dass die Kenntnis vom Nachlassgericht stammt. Auch Schreiben eines Miterben genügt.
- Ist der Erbe geschäftsfähig, aber unter Betreuung, kommt es für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der Kenntnis des zuerst Informierten an – Betreuter oder Betreuer (Prioritätsprinzip).
Sachverhalt
- Die Erblasserin starb im Januar 2024 ohne Testament. Erben waren ihre beiden Neffen (Bet. zu 1 und 2).
- Der Bet. zu 2 steht unter rechtlicher Betreuung (Aufgabenkreis Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt).
- Am 1.3.2024 erhielt der Betreuer ein Schreiben von Bet. zu 1 mit Sterbeurkunde und Hinweisen zur Erbfolge.
- Erst am 6.5.2024 erklärten der Bet. zu 2 und sein Betreuer beim Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft.
- Das Amtsgericht stellte trotzdem die Erbenstellung beider fest – die Ausschlagungsfrist war abgelaufen.
- Die Beschwerde des Betreuers gegen die Erbenfeststellung blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe des OLG
1. Fristbeginn und Kenntnis des Erben (§ 1944 Abs. 2 BGB)
- Die Ausschlagungsfrist von sechs Wochen begann mit der Kenntnis des Betreuers am 1.3.2024.
- Für die Frist genügt es, wenn der Betreuer (als gesetzlicher Vertreter) weiß:
- dass ein Erbfall eingetreten ist,
- und dass der Betreute gesetzlicher Erbe geworden ist.
- Es ist nicht erforderlich, dass diese Information vom Gericht stammt – auch ein Miterbenschreiben reicht.
2. Maßgeblichkeit der Betreuerkenntnis
- Der Bet. zu 2 war geschäftsfähig, aber unter Betreuung.
- In solchen Fällen gilt laut Rechtsprechung das Prioritätsprinzip:
- Wer zuerst weiß, ob Betreuer oder Betreuter, diese Kenntnis zählt.
- Hier: Betreuer wusste es am 1.3.2024 → Beginn der Ausschlagungsfrist.
- Eine Rücksichtnahme auf eine mögliche spätere Kenntnis des Betreuten ist nicht erforderlich, da dieser durch seinen Betreuer bereits geschützt ist (§ 1821 BGB).
3. Kein Erfolg der Anfechtung wegen Irrtums (§ 1956 BGB)
- Die Anfechtung wegen Irrtums (über die Annahmefiktion durch Fristversäumnis) ist ausgeschlossen:
- Der Bet. zu 2 wird durch einen juristisch geschulten Betreuer vertreten.
- Fehler oder Versäumnisse des Betreuers muss sich der Betreute zurechnen lassen.
- Kein schutzwürdiger Irrtum des Betreuten liegt vor.
Rechtsfolge
- Die Erbschaft wurde durch Fristversäumnis angenommen (§ 1943 BGB).
- Eine Ausschlagung war unwirksam, weil sie nicht fristgerecht erklärt wurde.
- Die Kenntnis des Betreuers am 1.3.2024 löste die Frist aus – unabhängig davon, wann der Betreute selbst informiert war.
Praktische Bedeutung
- Bei Betreuung geschäftsfähiger Erben zählt für den Beginn der Ausschlagungsfrist die frühere Kenntnis – entweder des Erben oder seines Betreuers.
- Auch außergerichtliche Informationen (z. B. von Verwandten oder Dritten) lösen die Frist aus, wenn sie die maßgeblichen Tatsachen (Tod + Erbenstellung) vermitteln.
- Die Anfechtung wegen Irrtums ist bei professioneller Betreuung kaum möglich, da Betreuerwissen dem Betreuten zugerechnet wird.