Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 186/18 vom 14.12.2018
Beschluss vom 14.11.2018 – XII ZB 292/16
Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat ein Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, in dem es maßgeblich auf die Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen ankommt.
Sachverhalt:
Der am 1. Januar 1994 geborene Antragsteller und die am 1. Januar 2001 geborene minderjährige Betroffene sind syrische Staatsangehörige. Sie wuchsen im selben Dorf in Syrien auf. Am 10. Februar 2015 schlossen sie vor dem Scharia-Gericht in Sarakeb/Syrien die Ehe. Aufgrund der Kriegsereignisse flüchteten sie über die sogenannte „Balkanroute“ von Syrien nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen. Nach ihrer Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung wurde die Betroffene, die bis dahin seit Februar 2015 mit dem Antragsteller zusammengelebt hatte, im September 2015 vom Jugendamt in Obhut genommen, vom Antragsteller getrennt und in eine Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge verbracht. Das Amtsgericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge fest und ordnete Vormundschaft an. Zum Vormund wurde das zuständige Stadtjugendamt bestellt.
Der Antragsteller, der zunächst nicht wusste, wohin die Betroffene verbracht worden war, hat sich im Dezember 2015 an das Amtsgericht gewandt und eine Überprüfung der Inobhutnahme sowie die Rückführung der Betroffenen beantragt.
Bisheriger Verfahrensverlauf:
Das Amtsgericht, das das Begehren des Antragstellers in einen Antrag auf Regelung des Umgangsrechts zwischen dem Antragsteller und der Betroffenen umgedeutet hat, hat das Umgangsrecht dahingehend geregelt, dass die Betroffene das Recht habe, jedes Wochenende von Freitag 17 Uhr bis Sonntag 17 Uhr mit dem Antragsteller zu verbringen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vormunds, mit der dieser ein Umgangsrecht von nur einmal wöchentlich in der Zeit von 14 bis 17 Uhr in Begleitung eines Dritten erreichen wollte, zurückgewiesen; zugleich hat es die Entscheidung des Amtsgerichts von Amts wegen aufgehoben, weil dem Vormund wegen der auch in Deutschland gültigen Ehe keine Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt der Betroffenen zustehe. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Vormunds der Betroffenen, der weiterhin ein reduziertes Umgangsrecht nur in Begleitung eines Dritten erreichen will.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) mit Art. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen Minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte.
Der Ausgang des Verfahrens hängt von der Wirksamkeit der Ehe des Antragstellers und der Betroffenen nach deutschem Recht ab, weil eine wirksame Ehe eine Ausübung des dem Vormund nach §§ 1800, 1631 bis 1632 BGB zustehenden Sorgerechts dahingehend, dass die Betroffene nur einmal wöchentlich die Zeit von 14 bis 17 Uhr in Begleitung eines Dritten mit dem Antragsteller verbringen darf, ausschließt.
Der Bundesgerichtshof ist der Überzeugung, dass die gesetzliche Anordnung der Unwirksamkeit der von einem noch nicht 16-jährigen Minderjährigen nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehe in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – insofern mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist, als die Wirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht generell und ohne Rücksicht auf den konkreten Fall versagt wird, und – im Gegensatz zur Übergangsregelung für im Inland geschlossene Kinderehen nach Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB – auch solche vor dem 22. Juli 2017 nach ausländischen Recht wirksam geschlossene Ehen unwirksam werden, die – wie die vorliegend zu beurteilende Ehe – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen auch nach deutschem Recht wirksam und nur aufhebbar waren.
Vorinstanzen:
AG Aschaffenburg – Beschluss vom 7. März 2016 – 7 F 2013/15
OLG Bamberg – Beschluss vom 12. Mai 2016 – 2 UF 58/16 – FamRZ 2016, 1270
Die maßgeblichen Vorschriften in der Fassung vom 17. Juli 2017 lauten:
§ 1303 Ehemündigkeit
Eine Ehe darf nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Mit einer Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, kann eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden.
Art. 13 EGBGB Eheschließung
(1) Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört.
(2) …
(3) Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht
1. unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, …
2. …
Art 229 § 44 Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen
(1) § 1303 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der ab dem 22. Juli 2017 geltenden Fassung ist für Ehen, die vor dem 22. Juli 2017 geschlossen worden sind, nicht anzuwenden. Die Aufhebbarkeit dieser Ehen richtet sich nach dem bis zum 22. Juli 2017 geltenden Recht.
(2) …
(3) …
(4) Artikel 13 Absatz 3 Nummer 1 gilt nicht, wenn
1. der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juli 1999 geboren worden ist, oder
2. die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.