OLG München: Feststellung der Testierunfähigkeit mittels Sachverständiger

Quelle: Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 18.12.2024 – 33 Wx 153/24e)

Kernaussagen:

  1. Die Feststellung der Testierunfähigkeit darf nicht allein auf Zeugenaussagen, sondern nur unter sachverständiger Begutachtung und Mitwirkung erfolgen.
  2. Wird die Einvernahme von Zeugen vom Sachverständigen für erforderlich gehalten, muss dieser bei der Vernehmung anwesend sein und Fragen stellen können.
  3. Ein Rechtspfleger ist nicht befugt, über einen streitigen Erbscheinsantrag bei behaupteter Testierunfähigkeit zu entscheiden – in einem solchen Fall ist das Verfahren dem Richter zu übertragen.

Sachverhalt:

  • Die Erblasserin errichtete am 29.01.2020 ein eigenhändiges Testament zugunsten ihrer Großnichte.
  • Sie verstarb 2021 und stand seit April 2020 unter Betreuung.
  • Das Nachlassgericht (Rechtspfleger) lehnte den Erbscheinsantrag der eingesetzten Erbin mit Verweis auf ein früheres Gutachten zur Geschäfts(un)fähigkeit ab – ohne Einholung eines neuen vollständigen Gutachtens.
  • Ein vom OLG angeordneter Sachverständiger konnte keine abschließende Beurteilung treffen und forderte die Zeugenvernehmung in seiner Anwesenheit.
  • Das Nachlassgericht vernahm die Zeugen ohne den Sachverständigen und entschied daraufhin erneut gegen die Beschwerdeführerin.

Entscheidungsgründe des OLG München:

1. Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG):

  • Die Entscheidung des Rechtspflegers basierte allein auf Zeugenaussagen, obwohl der Sachverständige eine abschließende psychiatrische Beurteilung für notwendig hielt.
  • Die Nichtanhörung des Sachverständigen nach Zeugenaussagen stellt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) und des rechtlichen Gehörs dar.

2. Entscheidung durch unzuständigen Rechtspfleger:

  • Bei Zweifeln an der Testierfähigkeit besteht richterliche Zuständigkeit (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG iVm § 2 Abs. 2 AufhRiVbV).
  • Das Verfahren war nicht „unstreitig“, da der Rechtspfleger selbst Tatsachen (aus der Betreuungsakte) als Einwand gegen die Wirksamkeit des Testaments wertete.
  • Bereits das Bekanntwerden solcher Einwände verpflichtet zur Vorlage an den Richter.
  • Der Rechtspfleger handelte damit funktionell unzuständig – der Beschluss ist unwirksam.

Rechtliche Bewertung:

  • Ein Nachlassgericht darf sich bei medizinischen Fragen zur Testierfähigkeit keine eigene Sachkunde anmaßen – das ist Aufgabe eines Fachgutachters.
  • Zeugenaussagen sind nur als Ergänzung zur fachärztlichen Bewertung zu verwerten.
  • Das Verfahren war falsch geführt und muss nun vom Nachlassrichter sachgerecht fortgesetzt werden – mit korrekter Beweisaufnahme unter Einbindung des Sachverständigen.

Fazit:

Das OLG München hebt eine Entscheidung auf, bei der ein Rechtspfleger unzulässig allein auf Basis von Zeugenaussagen die Testierunfähigkeit einer Erblasserin angenommen hatte, obwohl ein Sachverständiger eine weitere Anhörung für notwendig hielt. Diese Vorgehensweise verletzt sowohl das rechtliche Gehör als auch die Zuständigkeitsregeln, da es sich um ein streitiges Verfahren mit widersprüchlichen Tatsachen handelte. Das Verfahren ist daher an den zuständigen Richter zurückzuverweisen.